Hören Facebook und Google heimlich zu?

Hören Facebook & Google heimlich zu?

Christian Penseler KLARTEXT

Zuletzt häufen sich wieder die Gerüchte, Google oder Facebook würden heimlich Gespräche mitschneiden und die Daten später für Werbeanzeigen nutzen. Schauen wir uns einmal gemeinsam an, was an diesen Spekulationen dran ist.

Warum interessiert es „Die“, was ich rede?

Wie wertvoll sind deine persönlichen Daten? Und, wenn ich von persönlichen Daten spreche, meine ich nicht deine Anschrift oder dein Geburtsdatum. Ich rede vielmehr über deine aktuellen Interessen, Bedürfnisse, Wünsche und Pläne für die Zukunft. Was kann das schon wert sein, fragst du dich?
Nun ja, 2016 wurden weltweit über 200 Mrd. US-Dollar in Online-Werbung investiert. Das sind bereits 34 Prozent der gesamten Werbeausgaben. Für 2017 werden über 36 Prozent prognostiziert und damit erstmals mehr als für TV-Werbung (Quelle: Publicis Media GmbH). Grund genug für die Unternehmen alles an Daten zu bekommen, was sie bekommen können, um die Effizienz der Werbung zu erhöhen. Je persönlicher und aktueller diese Daten sind, desto wertvoller werden sie.
Wenn wir etwas bei Google in die Suche eingeben, bekunden wir ja bereits aktiv ein Interesse an bestimmten Themen. Das ist auch der Grund dafür, dass Google seinen Hauptumsatz immer noch über Suchmaschinenwerbung generiert. Doch woher sollen Unternehmen wissen für welche Themen du dich interessierst, wenn du es noch nicht in ein Suchfeld eingegeben hast? Anhand deiner Facebook-Aktivitäten? Anhand deiner Browser-Historie? Nein, das ist noch nicht genug. Unternehmen wollen wissen, was in deinem Wohnzimmer gesprochen wird. Worüber du dich mit wem unterhältst. Das sind wertvolle Daten! Interessanter wären sogar noch deine Gedanken, bevor du sie aussprichst, aber davon sind wir noch mindestens ein bis zwei Jahre entfernt. 😉

Was wissen „Die“ denn schon über mich?

Wenn Unternehmen nur noch herausfinden wollen, was du sagst oder denkst, welche Daten haben sie denn schon über dich? Kurz gesagt: ein Menge. Eine so große Menge, dass dafür ganze Server-Farmen gebaut werden um alle Daten auszuwerten. Die bereits vorher genannten „einfachen“ Daten, wie Anschrift, Geburtstag, E-Mail, Telefonnummer usw. sind für die Daten-Champions Facebook und Google kein Problem, aber für sich allein auch noch nicht sehr wertvoll. Auf Basis dieser Daten wurde, bis zur Einführung von Online-Werbung, klassische Werbung ausgesteuert. Der Streuverlust war dabei ziemlich hoch. Viel interessanter sind „komplexe“ Daten, wie Standort, Standort-Historie, Browser-Verlauf, Facebook-Aktivitäten, Freunde, genutzte Geräte oder Kaufverhalten. Auch mit diesen Daten lässt sich lediglich ein Bild deiner Vergangenheit erstellen. Erst mit dem Verknüpfen der „einfachen“ und „komplexen“ Daten lassen sich gute Prognosen erstellen, für welche Produkte oder Dienstleistungen du dich interessieren könntest.

Ein Beispiel aus der Praxis:
Du kommst aus deinem Urlaub mit deiner Familie aus Finnland wieder. Du hast natürlich viele Fotos gemacht und Google Maps genutzt, um dich in Fjorden zurechtzufinden. Am Wochenende bekommst du bei Facebook eine Werbeanzeige mit dem Titel:

„Halte Deine Erinnerungen an Finnland für immer fest: Gestalte jetzt dein Fotobuch!“

Diese Art von Werbung ist nicht unüblich und auch nicht sehr kompliziert zu erstellen. Es wirkt aber oft schon erschreckend, wenn sich Werbung auf tatsächliche Ereignisse in deinem Leben bezieht.

Hören „Die“ denn nun heimlich zu?

Wir haben gelernt, dass Facebook und Google bereits alle Daten verarbeiten, die wir digital anliefern. Was ist nun aber mit unserer Sprache? Natürlich zeichnen beide Unternehmen unsere Sprache auf, aber nur wenn wir zugestimmt haben. Zum Beispiel beim Nutzen diverser Google-Dienste, die ein „OK, Google“ voraussetzen, um den Dienst zu aktivieren. Google kann diese Tonspur auch schon sehr gut in einen für Maschinen verständlichen Text umwandeln. Wenn du mal prüfen möchtest, welche Sprachfetzen Google bereits von dir aufgezeichnet hat, findest du diese hier: Google Aktivität.

Mit dem Einzug von sogenannten Home-Assistenten wie Google Home oder Amazons Alexa machen wir es den Unternehmen deutlich leichter an unsere gesprochenen Inhalte zu gelangen. Aber es sind nur einzelne Bruchstücke, welche wir selbst, bewusst gewählt haben.

Heimlich zeichnen beide nicht auf. Facebook hat dies auch offiziell bestätigt. Denn im Strafgesetzbuch finden wir im § 201 Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, dass man mit einer Freiheitsstrafe rechnen muss, wenn man unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt.

Was ist mit WhatsApp-Telefonaten? Hierzu gab es 2015 es einen spannenden Bericht von Jens Herforth, in dem nachgewiesen wurde, dass WhatsApp alle Gespräche aufzeichnet. Doch es handelte sich um eine „nicht öffentliche, interne Version“ von WhatsApp. Trotzdem zeigt es, dass Facebook technisch vorbereit ist, alles mitzuscheiden. Sicher suchen sie nur noch eine Möglichkeit, das ganze auch legal machen zu können.

Warum sehe ich denn sonst „Deren“ Werbung?

Wir alle kennen diese Geschichten, oder haben es schon selbst erlebt. Dieser gruselige Moment, wenn du denkst: „da habe ich doch eben erst mit dir drüber gesprochen. Warum kommt dann gleich die Werbung von denen? Verrückt!“.

Wenn Google und Facebook nicht unerlaubt zuhören, wie kommt dann diese Werbung auf dein Smartphone? Ich habe vorhin schon von dem Verknüpfen von „komplexen“ Daten gesprochen. In Wirklichkeit sind diese Daten noch viel komplexer, als ich es hier erklären kann. Um es sich etwas besser vorstellen zu können, muss man verstehen, dass die Daten um das zehntausend-fache interessanter geworden sind, als es möglich wurde, die Daten einer Person mit denen einer anderen Person zu verknüpfen. Facebook kann mittlerweile sehr gut selbstständig herausfinden, wo wir Zuhause sind, wo wir Arbeiten, wer unser Lebenspartner ist, wer unsere Arbeitskollegen oder Freunde sind. Ganz simpel anhand von GPS-Daten und Uhrzeiten.

Wenn du (mit deinem Smartphone) beispielsweise montags bis freitags von 9:00 bis 18:00 Uhr sehr häufig an Position X bist, ist das wahrscheinlich deine Arbeitsstelle/Schule, wenn eine zweite Person auch sehr häufig zu diesen Zeiten an der Position X ist, ist es wahrscheinlich dein Kollege/Mitschüler. Ähnliches gilt für die Uhrzeiten 20:00 bis 08:00 Uhr morgens für dein Zuhause.

Stell dir mal vor, zwei Personen befinden sich im gleichen Wlan-Netzwerk und haben sich auch noch gegenseitig bei WhatsApp hinzugefügt. Was kann man daraus schon alles schließen?

Denn Fakt ist:

Google warnt mich morgens unaufgefordert vor einem Stau auf dem Weg zu meiner Arbeit!

Google erinnert mich, wann mein Flug geht, weil die Buchungsbestätigung an mein Gmail-Konto ging!

Facebook rät mir morgens einen Regenschirm mitzunehmen, da für Hannover Regen angesagt ist!

Facebook macht mir Vorschläge, ob ich bestimmte Personen kenne, mit denen ich mich kurz auf einer Veranstaltung getroffen habe!

Anhand dieser Beispiele möchte ich zeigen, wie gut es bereits gelingt, aus vergangen und aktuell vorliegenden Daten einen erschreckend passenden Vorschlag zu machen. Das gilt auch für die Werbeanzeigen.

Welche Möglichkeiten haben „Die“, um mich zu finden?

Eine aktuell sehr beliebte Methode um die Effektivität von Werbeanzeigen zu erhöhen ist das Nutzen von sogenannten Lookalike- oder Similar-Audiences. Das sind von Maschinen errechnete, statistische Zwillinge. Nein, nicht die Matrix, alltägliche Praxis! Anhand von ein paar wenigen Rahmenbedingungen wird ein Muster erstellt. Wer diesem Muster entspricht kommt automatisch in die potentielle Zielgruppe.

Ein vereinfachtes Beispiel:
Von 1.000 Personen, die sich ein Fidget-Spinner gekauft haben, ist bekannt, dass sie zwischen 12 und 18 Jahren und männlich sind. Weiterhin interessieren sie sich für Pokémon und Justin Bieber. (Sorry für das Klischee :))
Nun ist es sicher klug eine Werbeanzeige an alle männlichen Personen zwischen 12 und 18 Jahren auszuspielen, die sich für Pokémon und Justin Bieber interessieren.

Das soll nur ein wirklich stark vereinfachtes Beispiel sein, um das Prinzip zu verstehen. In Wirklichkeit werden tausende Datenpunkte verglichen, um ein Muster für mögliche statistische Zwillinge zu finden.

Wie kommen „Die“ an noch mehr Daten?

Ein Blick in die Vergangenheit lässt erahnen, wo die Daten-Reise noch hingehen wird. Unternehmen wie Facebook, Google und Amazon haben das Geschäft mit den Daten verstanden und setzen die verrücktesten Ideen ein, um noch weiter in unser Leben hineinzukommen. Google Maps ist zwar kostenfrei aber der Preis ist unsere Standort-Historie. Facebook hat WhatsApp gekauft und möchte demnächst, ähnlich wie Netflix, eigene Serien produzieren. Zudem treiben sie mit dem Project Oculus Rift das Nutzen von Virtual Reality stark voran. Google hat das Android Betriebssystem in den eigenen Händen und bringt regelmäßig eigene Smartphones auf den Markt. Zudem treibt Google die Entwicklung von selbstfahrenden Autos voran und forscht auch an neuer Medizin-Technologie. Werbetreibende dürfen also gespannt bleiben, welche Möglichkeiten sich in den nächsten Jahren ergeben.

Erzähl mir was!

Berichte mir in den Kommentaren von deinen „Grusel“-Momenten, in denen die Werbung erschreckend gut passte und du glaubst, dass sie nicht auf dem „üblichen“ Weg an die Daten dafür gekommen sein können.

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